In einem schlauen Buch lese ich:

Egerlinge heißen im Volksmund fälschlicherweise Champignons, was französisch für Pilz ist (auch der Knollenblätterpilz ist also auf französisch ein Champignon).
(Augustin et al. 2009, S. 100)

Ich lasse mich ja gerne belehren, aber ich werde auch immer ein bisschen stutzig, wenn jemand behauptet, die gesamte Sprachgemeinschaft spreche falsch.

Zunächst einmal ist es schon richtig, dass Pilz auf Französisch champignon heißt. Aber auch der Champignon heißt auf Französisch so: champignon (de Paris). Und nicht nur die Franzosen und die Deutschen nennen ihre Champignons Champignons, sondern beispielsweise auch die Spanier (champiñón; Pilz: seta) oder Niederländer (champignon; Pilz: zwam oder paddenstoel, wörtl. ‚Krötensitz‘). Die Engländer fallen etwas aus der Reihe, hier heißt der Champignon mushroom, und damit, wie bei den Franzosen, genauso wie „der Pilz“ an sich. Ich denke, das ist ein ganz gutes Indiz dafür, dass der Champignon in unseren Breiten so etwas wie der prototypische Pilz ist. Und ich denke auch, dass es schon ok ist, wenn wir die Champignons eben genau so nennen — die Franzosen tun’s ja auch (und im übrigen wäre es auch ok, wenn die Franzosen es nicht täten; deswegen unterscheidet man ja unterschiedliche Sprachen: weil sie dieselben Dinge unterschiedlich benennen). Letztendlich kommt Champignon von lat. campus ‚Feld‘.

Und nun zum Egerling. Laut Duden ist nicht etwa Champignon die volkstümliche Form von Egerling, sondern Egerling eine landschaftliche Bezeichnung für Champignons:

Eger|ling, der; -s, -e [zu ↑Egart] (landsch.): Champignon.
(Duden Universalwörterbuch, 5. Aufl. 2003)

Der Wahrig setzt einfach Synonymie an:

Eger|ling 〈m. 1〉 = Champignon
(Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 8. Aufl. 2006)

Auf den Internetseiten des Bundes Deutscher Champignon- und Kulturpilzanbauer e.V. findet man noch die abweichende und differenzierende Information: „Der Champignon ist die Zuchtform des wild wachsenden zweisporigen Egerlings“. Spätestens jetzt müsste man wohl einen Pilzspezialisten zu Rate ziehen.

Das im Duden als verwandt genannte Wort Egart bedeutet (laut Duden und Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 23. Aufl. 1999): ‚Grasland, das in anderen Jahren als Acker genutzt wird‘; nach Kluge ist die Herkunft dieses Wortes unklar. Die Erklärung, dass der Name Egerling vom Elfengarten abstamme, scheint mir in diesem Lichte dann doch zu poetisch, als dass sie wirklich glaubhaft wäre. Als weiteres regionales Synonym findet man auch noch Angerling.

Wissenschaftlich heißt der Champignon Agaricus, und davon gibt es so einige. Auf den ersten Blick erschiene es mir gar nicht überraschend, wenn zwischen Egerling, Egart und Agaricus eine sprachliche Verwandtschaft vorläge: Mit ein bisschen i-Umlaut und/oder Nebensilbenabschwächung käme man schon vom Agar… zum Eger… Ich halte mich aber nicht für schlauer als den Kluge. Wenn an dieser Spekulation überhaupt etwas dran ist, dann liegt wohl eher ein gemeinsamer Ursprung vor als eine direkte Ableitbarkeit des einen aus dem anderen. Schön wäre für diese Spekulation natürlich, wenn Agaricus irgendwas mit ‚Wiese‘ oder ‚Grasland‘ zu tun hätte, so wie Egart und wie sicherlich auch der Angerling (Anger ‚Grasfläche, Grasplatz‘). Die einzige Erklärung, die ich in einem Lebensmittel-Lexikon von Waldemar Ternes gefunden habe, gibt darauf aber keine allzu deutlichen Hinweise:

Agáricus stammt von agarikon ab, griech. Bez. für den Weißen Lärchenschwamm […]. Nach Dioscorides soll dieser Pilz seinen Namen von Agaria, einer südrussischen Landschaft, erhalten haben. (S. 18)

Vielleicht gibt es in dieser Landschaft ja besonders viele Wiesen …? Die Pilze der Gattung Agaricus gehören zur Ordnung der Agaricales, und das sind Blätterpilze — Blätter, Wiese … naja.

Um noch einmal auf die volksmündliche Verwendung von Champignon im Gegensatz zum „eigentlich richtigen“ Egerling zurückzukommen: Auch unser neues Spielzeug, der Google Books Ngram Viewer, gibt einen Eindruck davon, wie häufig die Bezeichnung Egerling vorkommt. Nämlich gar nicht, und das verwundert nun schon, wenn es doch die korrekte Bezeichnung sein soll (und es verwundert auch ein bisschen, weil es das Wort Egerling schließlich doch gibt):

Google-N-Gramme: Champignon vs. Egerling

Der Vergleich mit dem fachsprachlichen Agaricus zeigt aber, dass dieser Terminus in der (Fach-)Literatur durchaus verwendet wird:

Google-N-Gramme: Champignon, Egerling, Agaricus

Zu ergänzen ist dann noch die Herkunft von engl. mushroom — obwohl hier nicht viel ergänzt werden kann: Die Etymologie ist unklar, evtl. kommt das Wort von moss (‚Moos‘) (etymonline.com).

Und zum Knollenblätterpilz kann hinzugefügt werden, dass der auf Französisch amanite oder oronge heißt, damit man ihn nicht mit dem champignon verwechseln kann. Wir brauchen uns also um die Gesundheit der Franzosen nicht auch noch den Kopf zu zerbrechen.

Feststehen dürfte aber, nachdem ich jetzt so viel über den Champignon geschrieben habe, dass diese Bezeichnung (die übrigens auch die Verpackungsfolie meines heutigen Mittagessens zierte) durchaus nicht falsch ist.

Augustin et al. 2009 = Augustin, Eduard/Keisenberg, Philipp von/Zaschke, Christian: Ein Mann ein Buch. 10. Aufl. München 2009.

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