Im letzten (und ersten) Teil einer Mini-Serie über Schrift, Buchstaben und die Assoziationen und Effekte, die diese hervorrufen sollen und können, ging es um Zeichen des (erweiterten) lateinischen Alphabets, die aus Designgründen in andere Sprachen übernommen werden.
Etwas anders stellt sich die Sache bei einer weiteren Schriftspielerei dar, die in der englischen Wikipedia als Faux Cyrillic bezeichnet wird, also in etwa ‚imitiertes Kyrillisch‘ oder (warum nicht) auch „das Яussiscнe“; im Deutschen kenne ich dazu keine eingeführte Benennung (und auch keinen Wikipedia-Eintrag). Beim „Яussiscнeи“ handelt es sich um Wörter, die im Kontext einer Sprache mit lateinisch-basiertem Alphabet (also z.B. Deutsch oder Englisch) verwendet werden, bei denen einzelne Buchstaben aber durch ähnlich aussehende Buchstaben des kyrillischen Alphabets ausgetauscht werden. Häufig zu sehen, wenn Veranstaltungen mit russischer, oder, verallgemeinert, „Ostblock-Thematik“ (Balkan-Disco etc.), beworben werden oder eine entsprechende Assoziation hervorgerufen werden soll. Ein prunkvolles Beispiel war kürzlich in einer Werbung im ZEIT-Magazin zu sehen:
Dabei wurden hier nicht nur kyrillische Buchstaben verwendet — diese wurden teilweise sogar auf den Kopf gestellt, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Und nur Korinthenkacker würden kritisieren, dass diese Buchstaben z.B. im Russischen ganz anders ausgesprochen werden als im Deutschen oder Englischen; beispielsweise lautet das Д nicht /a/, sondern /d/; das Ц nicht /u/, sondern /ts/; das Я nicht /r/, sondern /ja/, und das Н wäre ein ganz besonders falscher Freund, es lautet nämlich nicht /h/, sondern /n/ — allerdings ist die Ähnlichkeit zwischen den Zeichen so groß, dass ich nicht erkennen kann, ob im obigen Beispiel ein lateinisches ‚H‘ oder ein kyrillisches ‚Н‘ verwendet wurde (was zu einem anderen Phänomen führt, siehe unten). Um den gewünschten Effekt des „Яussiscнeи“ hervorzurufen, müssen sich die Zeichen also ähnlich sehen, aber sie dürfen nicht gleich aussehen. Dazu bieten sich etwa an:
Lateinisch | A | B | E | N | O oder I | R | U | W | X | Y |
Kyrillisch | Д | Б | Э | И | Ф | Я | Ц | Щ | Ж | Ч |
Ich käme nie auf den Gedanken, hier eine andere Aussprache zu versuchen. Würde mich aber interessieren, ob Russischsprechende da ähnliche Fehler begehen wie ich bei den Heavy-Metal-Umlauten.
Wer seine Texte „russifizieren“ möchte, kann dies übrigens sogar mit einem „FДКЗ CУЯILLIC GЗИЗЯДTФЯ“ online tun. Eine persönliche Bitte: bitte nicht.
= LеxіkоgrарhіеЫоg =
Hätten Sie’s erkannt? Wenn überhaupt, dann wahrscheinlich nur aufgrund des stümperhaften „Ы“: Diese kleine Zwischenüberschrift besteht nur etwa zur Hälfte aus lateinischen Buchstaben, die andere Hälfte sind gleich aussehende Buchstaben aus dem kyrillischen Unicode-Subset. Zum Ende hin also noch etwas ernsthafter: Wer wollte, könnte mit dieser Zeichenkette eine neue Internetseite anlegen und so tun, als sei diese das Original-Lexikographieblog. Das geht dann schon über Schriftspielchen hinaus, wenn auf diese Weise versucht wird, Leute auf Fake-Webseiten von Banken o.Ä., deren URLs aus kyrillischen Zeichen bestehen, zu locken und ihnen da ihre Zugangs- oder Kreditkartendaten abzuschwatzen. Solche Betrugsversuche nennen sich laut Wikipedia homographischer Angriff. Wenn die gut gemacht sind, kann man schnell in die Falle tappen.
Im nächsten Teil werfen wir dann noch einen Blick aufs Griechische.
NACHTRAG, 06.05.2013
Da läuft mir doch gerade noch dieser Cartoon von Toothpaste for Dinner über den Weg.
NACHTRAG, 02.06.2013
In einem radioFeature auf Bayern 2 mit dem Titel „Unsere Welt – wie die queere Community in Kiew um Akzeptanz kämpft“ (Direktlink zu MP3) erfahre ich ab Minute 47:25 doch zufällig, dass man sich in der Ukraine bisweilen den Spaß macht, bei englischen Wörtern (wie „SECURITY“) die Zeichen, die es auch im kyrillischen Alphabet gibt, mit kyrillischem Lautwert auszusprechen (also „SESURITY“).
Sehr schön! Dazu möchte ich gerne zwei meiner Lieblingsfunde beitragen, nämlich
Faux Japanese, Faux Latin und Faux Arabic im Koreanischen: http://texttheater.net/hangulimitate
ein Plakat, das ich mal gesehen habe: da war das russische Wort красивая ins lateinische Alphabet transliteriert: KRASIVAYA, dann aber wieder faux-kyrillifiziert: KЯДSIVДЦД
Netter Artikel! Wieso sollte man das auch nicht verwenden. Als ich damals ein Cafe hatte, nahm ich diese Russifizerung für Vodka Parties usw. Hat enorm gut eingeschlagen ;-)
Aber das man Phishing damit betreiben kann, wusste ich nicht. Auf Ideen muss man erstmal kommen! ^^
„Würde mich aber interessieren, ob Russischsprechende da ähnliche Fehler begehen wie ich bei den Heavy-Metal-Umlauten.“
Noch einmal: Es sind nicht Sie, der die Fehler begeht, sondern die Xenoanalphabeten.
Ich kann Ihr „Schuldeingeständnis“ aber auch nicht als sympathische Bescheidenheit werten, da Ihr Werturteil ja auch für alle anderen gilt, die das deutsche, russische etc. Alphabet beherrschen.
Ich bin aber definitiv nicht bereit, mich dafür zu entschuldigen, dass ich russische Buchstaben als solche wahrnehme, weil ich sie erkenne, und ihnen den entsprechenden Lautwert zuordne. Da lasse ich mich lieber Korinthenkacker nennen.
Wer unbedingt mit russischen Buchstaben Aufmerksamkeit erzeugen will, der kann ja auch nach der RICHTIGEN Methode ins russische Alphabet tran(s)skribieren, so wie die Russen es ja auch pflegen. Schreiben Sie doch z.B. mal ЛЕКСИКОГРАФИБЛОГ…
(Fortsetzung des Kommentars zum Umlaut) … und einen „Fehler“ muss man das auch nicht unbedingt nennen, „Missverständnis“ wäre vielleicht ein besserer Ausdruck gewesen.
Ein „Missverständnis“ ist es eben, wenn ich den von „Mötley Crüe“ intendierten Effekt nicht wahrnehme, sondern nur den Lautwert der deutschen Umlautzeichen sehe. Und ein Missverständnis ist es auch, wenn Sie (und ich weiß ja nicht, ob Sie mit dem kyrillischen Alphabet groß geworden sind) die kyrillischen Buchstaben nicht, wie intendiert, als Design-Elemente im Deutschen oder (wie oben) im Englischen wahrnehmen, sondern statt dessen „aus Respekt“ (?) ihren russischen Lautwert herauslesen. Niemand fordert von Ihnen, dass Sie sich dafür entschuldigen. Wenn das alle so machten, wäre es tatsächlich ein Fehler des Designers — aber Ihr Vorkommentator informierte uns ja bereits darüber, dass das Konzept ganz gut zu funktionieren scheint. Man kann solche Konstruktionen natürlich wunderbar absichtlich missverstehen. Da ist man dann in der angenehmen Gesellschaft derer, die beispielsweise den „Kaffee to go“ so aussprechen wie das afrikanische Land (selbstverständlich auch nur „aus Respekt“).
Dagegen wäre es meinerseits ein Fehler, wenn ich mein Blog „ЛЕКСИКОГРАФИБЛОГ“ nennen würde, denn das würde (a) falsche Assoziationen wecken, da ich weder auf Russisch schreibe noch mich überwiegend mit dem Russischen beschäftige — wenn es (b) überhaupt gelesen und ent“ziffert“ würde. Es geht eben, um zum Schluss noch einmal auf den Titel dieser Mini-Serie zu sprechen zu kommen, (auch) um „Assoziationen und Effekte“, die auf diese Weise erreicht werden (sollen). Und dabei muss man über das Wortwörtliche und das einzeln Segmentierbare eben hinausgehen und auch den Kontext berücksichtigen.