In der Presse (vor allem in der Welt: Deutsche Rechtschreibung? Ein Trümmerhaufen) wird derzeit mal wieder über die orthographischen Fähigkeiten des Nachwuchses und über die Rechtschreibreform diskutiert gejammert. Ich hatte ja bereits vor ein paar Tagen einen Ausschnitt aus der bunten Formenvielfalt in den Schriften eines nicht mehr ganz so nachwachsenden Mannes gezeigt und nehme die Gelegenheit wahr, hier eine Fortsetzung zu geben.

Der Mann, aus dessen Texten ich bereits zitiert hatte, kam aus Nürnberg. Er ist aber nicht immer dort geblieben, so verschlug es ihn beispielsweise auch nach

Franckfurth
Franckfortt
Franckfürt
Frankfurth
Franckfort
Franckfurt

und er war auch außerhalb seines Heimatlandes

Deützschlant
Teitschland
Teutschland
Tewczlant
Tewczschland
Tewtzschlant

unterwegs, beispielsweise in

Fenedich
Fenedig
Venedich
Venedig.

Er schrieb ganz offensichtlich so, wie er sprach bzw. wollte — hatte allerdings im Gegensatz zu heute den Vorteil, dass das alle um ihn herum auch taten und es nicht in der dritten Klasse plötzlich hieß: Das ist aber so nicht richtig. Trotz seiner sprunghaften (Ortho-?)Graphie gilt unser Mann als bedeutender Künstler, manche sagen sogar: „the greatest artist of the Northern Renaissance ever since“; und er verfasste sogar „das erste Mathematikbuch deutscher Sprache mit bedeutenden neuen Erkenntnissen“ (Wikipedia). Vielleicht lag das daran, dass er immer so

fleissig
fleisig
fleyssig
fleisich
fleysig
fleißig
fleissich

gearbeitet hat? Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen, aber er hat wohl häufig geübt, bestimmt mindestens

20 zweyntzig
zwentzig
zweintzig
zweynzig
zweytzig
zwenczig
zweinzig
zwaintzig
tzwentzig
30 dreyssig
dreissig
dreysig
treissig
treÿsig
40 viertzig
vierzig
fiertzig
firtzig
virtzig
50 fuͤnfftzig
fünftzig
fuͤnftzig
fuͤufftzig
fünffczig
fünfzig
füntzig
60 sechtzig
sechzig
70 sibentzig
sibenzich
80 achtzig
90 neuntzig
neuͤntzig
neüntzig
neunzig

Mal, bis er so gut war?

Wir können ihn nicht mehr selbst fragen, denn Albrecht Dürer ist seit 485 Jahren tot. Ich will mit diesem Post nicht sagen, dass Orthographie und orthographische Fähigkeiten unwichtig sind, aber Dürer zeigt uns doch, dass die Welt sich auch weiterdreht, wenn man nicht jedes Wort immer genauso schreibt. Das Konzept einer standardisierten deutschen Orthographie gibt es überhaupt erst seit 150(±x) Jahren. Das müssen nur auch die einsehen, die selbst recht schreiben können. Und das sage ich auch an mich gerichtet, denn ich runzle ebenfalls schon mal die Stirn, wenn ich ein halbwegs offizielles Schriftstück oder einen von Germanist\inn\en bzw. Germanistikstudierenden verfassten Text lese, dessen Schreibung eher von Dürer als von Duden beeinflusst ist. Immer mal dran denken: Wegen guter Rechtschreibung haben die wenigsten Menschen einen Platz im Gedächtnis der Menschheit bekommen.

Hinweis: Die Anordnung der Varianten erfolgt nach absteigender Häufigkeit der Verwendung in Dürers (mir vorliegenden) Texten.