Noch einmal setze ich mich an den đ», um einen Kandidaten fĂŒr den Anglizismus des Jahres 2014 unter die đ zu nehmen. Heute: Emoji. Emojis, das sind die kleinen Symbole, inzwischen mehrere Hundert an der Zahl, die als Piktogramme oder Ideogramme bildlich fĂŒr ein Ding oder Konzept stehen und, mal bunt, mal einfarbig, immer hĂ€ufiger in der elektronischen Kommunikation via Chat/Messenger o.Ă. auftreten.
„ćæąïŒ ăĄăăŁăšćŸ ăŁăŠïŒ“, höre ich da schon die ersten rufen (oder so Ă€hnlich). Und dann: „Emoji ist doch nicht englisch, das ist ein japanischer Ausdruck!“ Das ist tatsĂ€chlich der erste wichtige Punkt, der hier zu klĂ€ren ist: Steht Emoji ĂŒberhaupt richtig bei den Kandidaten zum Anglizismus des Jahres?
ZunĂ€chst einmal ist unstrittig, dass die UrsprĂŒnge von Emoji tatsĂ€chlich im Japanischen liegen. Das Unicode-Konsortium erklĂ€rt: „The word emoji comes from the Japanese ç”” (e â picture) æ (mo â writing) ć (ji â character).“ Erfunden wurden die Emojis, ĂŒber die wir heute reden, wie man so hört 1995 von Shigetaka Kurita, einem Mitarbeiter des japanischen Mobilfunkanbieters NTT DoCoMo. Das Wort wĂ€re also ein guter Kandidat fĂŒr den Japanismus des Jahres, wĂŒrden wir den denn suchen. Damit das Wort ĂŒberhaupt als Anglizismus gelten kann, brĂ€uchten wir Hinweise darauf, dass es durch Vermittlung des Englischen ins Deutsche gekommen ist. DafĂŒr sehe ich zwei Indizien: die Beleglage und die Aussprache.
Erste Belege fĂŒr emoji im Englischen finde ich via Google Books im Jahr 2002 (Beleg1, Beleg2, Beleg3); die Lexikographinnen des Oxford English Dictionary haben aber auch fĂŒr 1997 und 2001 Beispiele entdeckt. In den Folgejahren fristet das Wort aber eher ein Schattendasein mit ein, zwei Belegen pro Jahr. Erst 2011 werden es mehr als eine buchstĂ€bliche „Handvoll“ (das liegt sicherlich auch daran, dass 2010 zahlreiche Emojis in Unicode 6.0 aufgenommen wurden und 2011 Apples iOS 2.2 erschien; siehe auch How emoji conquered the world), und richtig viele Belege werden es bei Google Books bis zum heutigen Zeitpunkt nicht; bei Google News finden sich aber etliche Belege neueren und neuesten Datums. Das Corpus of Contemporary American English ist leider keine Hilfe (keine Belege). In der ACM-Bibliothek findet sich 2008 ein erster Treffer in einem Fachartikel taiwanesischer Forscher. Auf Twitter gibt es Belege ab 2007, die dem Anschein nach von Nutzer\inne\n mit japanischem Hintergrund geschrieben wurden; 2008 wird von einer Nutzerin die Einbindung von Emojis in Googles Gmail angekĂŒndigt, explizit mit dem Hinweis auf deren Beliebtheit in Japan:
„Gmail will soon include emoji in messages… small animated cartoons and emoticons“ popular in Japan
â Amanda Mooney (@AmandaMooney) 16. Februar 2008
FĂŒr das Deutsche finde ich einen ersten Beleg, den Google Books auf das Jahr 2003 datiert; Emoji wird hier aber nicht in einem deutschen Satz verwendet, sondern steht in der Literaturangabe fĂŒr einen japanischen Ausstellungskatalog von 1996, in dem es (u.a.) um „Mischformen von Bild und Schrift“ geht:
Den ersten „richtigen“ und mit Datum belegten Treffer im Deutschen finde ich erst 2007/2008: FĂŒr 2007 in einem auf dieses Jahr datierten Adobe-GoLive-Handbuch (PDF); 2008 werden in einem Artikel ĂŒber die Apple-Firmware „âșemojiâč-Emoticons“ zwar als „bereits lĂ€nger bekannt“ bezeichnet, so recht belegen lĂ€sst sich diese Bekanntheit aber schlecht. Auch gibt es 2008 erste Tweets in deutscher Sprache, wie hier:
sozialausschluĂkriterium ironiefreie emoji-verwendung.
â frank l. (@frank93) 22. Juli 2008
Im Deutschen Referenzkorpus/COSMAS sind erstmals fĂŒr das Jahr 2010 Belege (aus der SĂŒddeutschen Zeitung) zu finden:
An jenem Morgen hatte die Frau aus GrĂŒnden, die sie spĂ€ter nicht wirklich erklĂ€ren konnte, das kleine blaue Zeichen âkostenlosâ berĂŒhrt auf ihrem iPhone und damit die Applikation âEmoji Freeâ heruntergeladen. Dann hatte sie einige E-Mails und SMS verschickt, fĂŒr die sie sich heute schĂ€mt, weil diese Botschaften mit kleinen Herzchen verziert waren, mit kleinen FĂ€ustchen, die den Daumen nach oben halten oder auch mal nach unten, und auch mit diesen gelben Gesichtchen, den Ikonographen der Chatroom-Stummelsprache und des zeitgenössischen Infektivs: schrei, kreisch, wein, wĂŒrg, grins, zwinker. [SĂŒddeutsche Zeitung, 30.01.2010, S. ROM5; Das Smiley]
In Japan sind Smartphones fast schon zusĂ€tzliche Organe, die per âAugmented Realityâ genaue Zusatzinformationen ĂŒber die Umgebung liefern oder an der Kasse zum Geldtransfer eingesetzt werden. Und als Weltprothese fĂŒhren sie dazu, dass das Schreiben von Text kaum mehr auf der Ebene gemeinsam gekannter und verwendeter Symbole ablĂ€uft. Die japanischen Smiley-Emoticons etwa, âEmojiâ, erweitern die Ausdruckspalette derart expressiv, dass sie auĂerhalb der jeweiligen Subkultur nicht mehr verstanden werden können. [SĂŒddeutsche Zeitung, 26.10.2010, S. 12; DĂ€umlinge auf Reisen]
WĂ€hrend im ersten Beleg Emoji noch Teil eines (englischen) Produktnamens ist, steht das Wort im zweiten Beleg (mit AnfĂŒhrungszeichen, die auf den Charakter als fremdsprachliches Zitatwort hinweisen können) eindeutig fĂŒr die entsprechenden Zeichen. Die Beleglage im Deutschen ist in der ĂŒber das DeReKo recherchierbaren allgemeinen Presse im Ăbrigen schwach: von 2010 bis 2014 nur 25 Treffer in 17 Texten (ohne Wikipedia: 17 Treffer in 12 Texten) zeugen nicht gerade von hĂ€ufiger Verwendung, weshalb es auch zweifelhaft ist, dass das Wort Emoji inzwischen allgemein bekannt ist.
In Google Books ist der erste deutsche Treffer nach dem oben genannten Sonderfall im Ăbrigen erst 2011 in einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung von Esther Stratz auszumachen. Via Google News lassen sich schlieĂlich mehr Treffer ermitteln, und hier zeigt sich dann auch, dass Emoji 2014 deutlich eingeschlagen hat — auch ohne genaues HerausklamĂŒsern einer absoluten Zahl (wahrscheinlich mehr als 500) ist der Anstieg đ im Vergleich zu 2013 schnell ersichtlich. Dazu beigetragen hat beispielsweise, dass es 2014 neue Emojis fĂŒr Facebook gegeben hat, dass es eine Debatte um die Hautfarbe von Gesichts-Emojis gab oder dass die App Emojili ein gewisses Aufsehen erregt hat, mit der man ausschlieĂlich durch Emojis kommunizieren kann/muss. Wenn das Wort auch in den traditionellen Medien kaum verwendet wurde — bei der technik- und internetaffinen Leserschaft sollte Emoji mit dem vergangenen Jahr angekommen sein.
Bei der Aussprache von Emoji ist insbesondere das „o“ interessant: Im Japanischen liegt dessen Aussprache wohl irgendwo zwischen dem „o“ in den deutschen Wörtern Motte und Mode, wie ein Youtube-Howto zeigt. Im Englischen kommt es zur typischen ou-Diphthongierung, zu hören etwa hier bei Ellen DeGeneres. Auch englische WörterbĂŒcher verzeichnen diese Aussprache, wie etwa das Macmillan Dictionary: /ÉȘËmÉÊdÊi/. Hört man sich nun deutsche SĂ€tze an, in denen Emoji verwendet wird, erkennt man deutlich ebenfalls den ou-Diphthong, z.B. hier oder hier oder hier. (Man hört aber beispielsweise auch andere englisch klingende Aussprachen wie /ËÉmÉdÊi/ (hier), oder deutsche annĂ€hernde „Leseaussprachen“ wie hier /Ëe:mÉÉȘ/.)
Als Zwischenfazit kann man also ziehen: Emoji ist in englischsprachigen Texten wohl frĂŒher belegt als im Deutschen, auch kamen die kleinen Zeichen wohl zu einem wesentlichen Teil ĂŒber Produkte amerikanischer Unternehmen (Google/Gmail, Adobe, Apple, Facebook, Apps) ins Deutsche, die zunĂ€chst fĂŒr den englischen Sprachraum bzw. in englischer Sprache entwickelt wurden. Auch die Aussprache von Emoji folgt im Deutschen meist der englischen Aussprache und nicht der japanischen. Dies sind Indizien, die darauf hindeuten, dass Emoji tatsĂ€chlich durch Vermittlung des Englischen ins Deutsche gekommen ist und daher als Anglizismus angesehen werden kann. Emoji darf also Kandidat bleiben — obwohl diese Entscheidung sicherlich streitbar ist [kleiner Exkurs dazu].
Nun muss noch etwas zur Bedeutung gesagt werden, und zwar genauer gesagt zur Abgrenzung von Emoji und Emoticon/Smiley. SchlieĂlich kennen wir ja alle die Grinsegesichter, die oft gekippt :-) auf der Tastatur eingegeben werden und von vielen Programmen automatisch in Smiley-Bilder umgewandelt werden. Emoji und Emoticon klingen auch ganz Ă€hnlich — fast so, als wĂ€re Emoji eine liebevolle Kurzform des eindeutig englisch-basierten Emoticon. Dies ist sicherlich ein weiterer Grund dafĂŒr, dass Emoji auch im Deutschen mit dem englischen ou-Diphthong gesprochen wird (obwohl die Herkunft eine ganz andere ist, wie wir ja nun wissen). In einigen der oben genannten Beispielen konnte man auch bereits sehen, dass Emoticon und Emoji teilweise wie Synonyme verwendet werden. Ganz korrekt ist dies aber nach „offizieller“ Lesart nicht. Das Unicode-Konsortium erklĂ€rt dazu (meine Hervorhebungen):
Emoticons (from âemotionâ plus âiconâ) are specifically intended to depict facial expression or body posture as a way of conveying emotion or attitude in e-mail and text messages. […] The emoji sets used by Japanese cell phone carriers contain a large number of characters for emoticon images, along with many other non-emoticon emoji.
Emojis sind also nicht auf Emotionen (und damit auch nicht auf Smileys) beschrĂ€nkt, sondern umfassen ein sehr breites Spektrum von Symbolen fĂŒr alle möglichen konkreten und abstrakten GegenstĂ€nde und Sachverhalte (siehe auch die Sektion zur Abgrenzung von Emoji und Emoticon im Wikipedia-Artikel). Um nur ein paar zu zeigen: đ der Weihnachtsmann, đŸ eine historische Floppy Disk, đ» eine Violine, đŸ ein Alien-Monster, đš ein Symbol fĂŒr den Australia Day (26. Januar) und đ fĂŒr den World Emoji Day am 17. Juli, đą ein hierzulande vermutlich kaum jemandem verstĂ€ndliches Zeichen fĂŒr „Ărger“, oder der schon hĂ€ufig gezeigte đ© Kackhaufen fĂŒr jede Lebenslage. In diesem Sinne fĂŒllt Emoji auch eine gewisse lexikalische LĂŒcke, denn Emojis sind eben etwas anderes als Emoticons/Smileys (Emoji ist da eher ein Oberbegriff zu diesen), sie aber schlicht als Symbole zu bezeichnen, ist wiederum zu allgemein.
Zur Grammatik sei noch kurz angemerkt: Emoji ist ein Neutrum (ergo das Emoji) und der Plural ist meist Emojis, gelegentlich aber auch Emoji (z.B. hier).
Zur lexikographischen Bearbeitung in deutschsprachigen Nachschlagewerken ist wenig zu sagen: Weder Duden noch Pons, Sprachnudel oder das Wiktionary (dt.) haben einen Eintrag zu Emoji, immerhin die Wikipedia (dt.) hat einen (dessen Geschichte: Im Juni 2004 angelegt als Weiterleitung zu „Emoticon“, nĂ€chste Bearbeitung vier Jahre spĂ€ter im Juli 2008: Weiterleitung zu Untersektion „japanische Emoticons“, nĂ€chste Bearbeitung fĂŒnf Jahre spĂ€ter im Dezember 2013: nun erst als eigener Artikel mit Abgrenzung zu Emoticons), und auch das Kleine linguistische Wörterbuch von mediensprache.net.
Erneut ist in englischen Nachschlagewerken mehr und frĂŒher etwas zu finden: In der Wikipedia (engl.) gibt es seit MĂ€rz 2004 einen eigenen Artikel (keine Weiterleitung), das Wiktionary (engl.) hat seit 2009 einen Artikel. Auch das Urban Dictionary verzeichnet emoji (2 EintrĂ€ge, der Ă€ltere [inhaltlich falsche] vom November 2011); neben dem oben bereits genannten OED und dem Macmillan Dictionary haben beispielsweise auch die Oxford Dictionaries einen entsprechenden Eintrag. â Was die Emojis selbst angeht: In englischer Sprache gibt es beispielsweise die Emojipedia, in der Emojis grob gruppiert und (teils nicht besonders gut) erklĂ€rt und beschrieben werden.
Fazit: FĂŒr mich war Emoji ein Top-Kandidat und eine Herausforderung — ein Top-Kandidat aber nur, bis ich mir die Beleglage in den traditionellen Medien angeschaut habe (und da gab es ja nicht viel anzuschauen). Da wir uns als Kriterium gesetzt haben, dass der Anglizismus des Jahres in dem betreffenden Jahr in den Sprachgebrauch einer breiten Ăffentlichkeit gelangt sein muss, und die Verbreitung in traditionellen Medien dafĂŒr ein guter Anhaltspunkt ist, ist leider klar, dass Emoji 2014 trotz gröĂerer Aufmerksamkeit in der technisch interessierten Presse noch nicht so weit ist. Ich tröste mich einstweilen damit, dass der Global Language Monitor das Herz-Emoji ℠zum Wort (!) des Jahres 2014 erkoren hat, und denke, dass wir 2015 noch einiges mehr von Emojis hören werden.
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[Exkurs zur Klassifizierung als Anglizismus]
Das Problem der Entscheidung, ob ein Ausdruck, der offensichtlich nicht-englischen Urspungs ist, als Anglizismus zu gelten hat, musste schon in anderen, aber vergleichbaren Kontexten angegangen werden. So enthĂ€lt das Anglizismen-Wörterbuch (Broder Carstensen/Ulrich Busse, 3 Bde., Berlin/New York: De Gruyter, 1993–1996) beispielsweise Artikel zu Bumerang („eigentlich“ aus einer australischen Indigenen-Sprache, aber ĂŒber das Englische ins Deutsche gekommen), Dritte Welt („eigentlich“ von französisch tiers monde, aber ĂŒber das Englische third world ins Deutsche gekommen …) oder GehirnwĂ€sche („eigentlich“ aus dem Chinesischen, aber eben wieder ĂŒber das Englische ins Deutsche gekommen). Andererseits wird Caddie in einer seiner Bedeutungen als „möglicherweise ein ĂŒber das Frz. vermittelter Anglizismus“ beschrieben, womit er dann aber nach den vorherigen Gepflogenheiten auch als Gallizismus gelten könnte (?). Die Klassifikation ist in solchen FĂ€llen also schwierig und die theoretischen AusfĂŒhrungen im Vorspann des Anglizismen-Wörterbuchs geben auch keine Anleitung, die man einfach so befolgen könnte. Ich bewege mich bei meiner EinschĂ€tzung aber sozusagen im Rahmen des Ăblichen. [zurĂŒck]
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Disclaimer: Der Autor findet zwar das Wort Emoji als Anglizismuskandidat sehr fein, verwendet die entsprechenden Symbole aber auĂerhalb dieses Artikels so gut wie nie. Der Autor spricht und liest desweiteren nicht Japanisch, weshalb alle Aussagen diese Sprache betreffend aus hoffentlich vertrauenswĂŒrdigen Internetquellen kopiert wurden.
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Anmerkung: Der Hinweis aufs OED wurde nachtrĂ€glich hinzugefĂŒgt.
Der Beitrag stellt die Frage, ob Emoji ĂŒberhaupt als âAnglizismusâ gelten kann, wo das Wort doch aus dem Japanischen kommt. Die Frage wird positiv beantwortet, wobei dabei entscheidend sei, dass das Wort durch englische Vermittlung ins Deutsche gekommen sein mĂŒsse. Zwei Argumente fĂŒr englische Vermittlung werden stark gemacht: 1. Vorhandene Korpusbelege weisen auf einen Reiseweg ĂŒber das Englische hin (dem ist zuzustimmen), 2. die Aussprache ist â bei starken Schwankungen â englisch.
Wenn der Vermittlungsweg und die Aussprache genĂŒgen wĂŒrden, dann wĂ€re Tomate ein Gallizismus, Schokolade ein Niederlandismus, obwohl beide Wörter auf das Nahuatl zurĂŒckgehen. Das Lexikographieblog problematisiert dies auch und beruft sich auf das Anglizismen-Wörterbuch von Carstensen/Busse (Berlin/New York: De Gruyter, 1993-96), das schon bei allein englischer Vermittlung einen Anglizismus postuliert. Ich sehe das als problematisch, denn Englisch ist heute die wichtigste internationale Verkehrssprache, und daher werden viele Wörter, auch aus anderen Sprachen, zwangslĂ€ufig ĂŒber das Englische vermittelt. Es kann aber nicht sein, dass Entlehnungen aus dem Arabischen wie Jihad (Dschihad), Hijab (Hidschab) oder Fatwa schon Anglizismen wĂ€ren, nur weil sie ĂŒber das Englische vermittelt sind. Damit wĂ€re jedes neue Fremdwort ein Anglizismus! Entgegen dem Anglizismen-Wörterbuch (Carstensen/Busse) ist eine sinnvollere Definition: Ein Anglizismus âmuss eine ĂŒbertragene Spracheigenheit im lexikalischen, syntaktischen oder idiomatischen Bereichâ sein (BuĂmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, 2. Aufl., Stuttgart: Kröner, 1990). Emoji wĂ€re demnach ein âJapanismusâ.
Um Emoji als Anglizismus zu ârettenâ, wĂŒrde ich einen anderen Weg einschlagen. Das Konzept der Reanalyse (http://de.wikipedia.org/wiki/Reanalyse) wurde von Lang/Neumann-Holzschuh (Reanalyse und Grammatikalisierung in den romanischen Sprachen, TĂŒbingen: Niemeyer, 1999) in den deutschsprachigen wissenschaftlichen Diskurs eingefĂŒhrt und folgendermaĂen definiert: âVon Reanalyse möchten wir dann sprechen, wenn ein Hörer, dem der vom Sprecher intendierte âordre structuralâ zugĂ€nglich ist, bei der Interpretation dem entsprechenden âordre linĂ©aireâ einen andere âordre structuralâ unterstelltâ (S. 6).
Somit kann die Lautfolge Emo- in japanischen Wort Emoji (ursprĂŒnglich wohl: âpictureâ + âwritingâ + âcharacterâ, vgl. oben im Beitrag) von einem Sprecher des Englischen dahingehend neu interpretiert, d. h. reanalysiert, werden, dass es eine VerkĂŒrzung von Emoticon wĂ€re. Emo- wird dann von der âordre structuralâ, hier: vom semantischen VerstĂ€ndnis, ein verkĂŒrztes englisches Emoticon. Dies Ă€ndert nichts an der japanischen Provenienz und Bedeutung des Wortes, aber die englische Reanalyse gibt dem Wort eine zweite Bedeutung. Das Lexikographieblog erkennt zwar: âEmoji und Emoticon klingen auch ganz Ă€hnlich â fast so als wĂ€re Emoji eine liebevolle Kurzform des eindeutig englisch-basierten Emoticon.â Aber es ist nicht so, dass diese Interpretation nur ein Irrtum wĂ€re â vielmehr hat das Wort im Prozess der Entlehnung ins Englische diese Bedeutung zusĂ€tzlich angenommen. Im Hintergrund stehen möglicherweise auch âniedlicheâ japanische Wörter wie Tamagotchi und Monchhichi. Emoji hat damit doppelte Provenzienz, japanische und englische.
Die Liste Ă€hnlicher Reanalysen ist lang, man nennt sie auch Volksetymologien: Armbrust (lat. arcuballista), HĂ€ngematte, VielfraĂ u.v.a.m. (http://de.wikipedia.org/wiki/Volksetymologie). Alle Volksetymologien sind Produkte der entlehnenden Sprache, nicht der Ursprungssprache, so wie Emoji auĂerhalb des Japanischen eben ein englisches Wort ist. Es qualifiziert somit auch bei einer „harten Anglizismus-Definition“ klar als Anglizismus.
Danke fĂŒr den ausfĂŒhrlichen Kommentar und fĂŒr den Analysevorschlag der Reanalyse. Dieser Vorschlag bedeutete natĂŒrlich, dass man a) unterstellen mĂŒsste, dass eine signifikant hohe Zahl von Englisch-Sprechenden diese Reanalyse tatsĂ€chlich durchgefĂŒhrt hat und b) dass dann genau diese Lesart auch als Anglizismus ins Deutsche ĂŒbernommen worden ist.
Ein Beispiel fĂŒr a) findet man beispielsweise im im Artikel genannten Eintrag des Urban Dictionaries, wo behauptet wird: „emoji includes the prefix emo- from emotion and emoticon“ — obwohl man da ja nie genau weiĂ, wie ernsthaft die Angaben gemeint sind.