In einer Werbeanzeige der Firma Rolex©, die mir vor Kurzem in die Hände fiel, sah ich diesen Text abgebildet, der ja offensichtlich dem äußeren Anschein nach einem Wörterbuchartikel nachempfunden ist:

Rolex-Werbung: Wörterbuchartikel

Wenn wir mal so tun, als wäre das ein „richtiger“ Wörterbuchartikel, könnten wir beispielsweise Folgendes dazu sagen:

Das Lemma Explorer ist noch relativ unspektakulär.

In eckigen Klammern wird in vielen Wörterbüchern die Aussprache angegeben, entweder mittels des Internationalen Phonetischen Alphabets (IPA) oder (seltener) mittels einer selbst ausgedachten Verschriftungsweise. Ins IPA transkribiert ist das nicht, was da zwischen den Klammern steht; es scheint eher gar nicht die Aussprache zu sein, die da durch [Ex|plo|rer] abgebildet wird: Die Großschreibung am Anfang wäre seltsam, da sie bei der Aussprache keine Rolle spielt; den [ks]-Laut in einer Ausspracheangabe durch „x“ wiederzugeben, wäre zumindest unorthodox; es wird keine Betonung angezeigt – die Striche markieren die Silbengrenzen, und die Anzeige der Silbentrennung scheint denn auch die einzige Funktion dieser Komponente zu sein (andere Wörterbücher machen das gleich im Lemma). Es ist natürlich nicht verboten, die Silbentrennung innerhalb eckiger Klammern anzugeben, aber man sollte sich schon bewusst sein, dass man dadurch Gefahr läuft, die Gewohnheiten seiner Leserschaft zu durchkreuzen und sie (Letztere) damit zu verwirren.

Der folgende Block, der den Anschein einer Bedeutungserklärung macht, ist durch die sieben Ziffern 1. bis 7. gegliedert. In anderen Wörterbüchern dienen solche Ziffern bei polysemen – mehrdeutigen – Wörtern zur Unterscheidung von verschiedenen Lesarten, also Einzelbedeutungen. Hier nicht. Hier werden unter den Ziffern 1. bis 6. einzelne „Fakten“ genannt, die man dem enzyklopädischen Wissen zuschlagen könnte; schließlich wird der Artikel mit 7. und einem – pardon – platten Slogan ohne Informationswert abgeschlossen (wobei, 6. ist auch schon richtig grausig; unter 4. der Vergleich von „Zeigern und Stundenindizes mit Chromalight [Chromawas!? Hexenwerk!]“ mit „herkömmlicher phosphoreszierender Masse“ ist echt schräg; und dass unter 5. niemand „Manufaktu(h)rwerk“ gekalauert hat, hilft auch nicht mehr viel). Die siebte „Nicht-Lesart“ ist außerdem farblich durch sattes Schwarz hervorgehoben, während der Text von 1. bis 6. in einem etwas helleren Grauton gehalten ist. Auch diese Abgrenzung ist eher unüblich.

Zu erwähnen ist noch, dass diese „Nicht-Lesarten“ nicht systematisch in einer neuen Zeile beginnen, sondern da, wo der vorherige Satz eben jeweils aufhört. Der Artikel ist also nicht – in der Terminologie von Wiegand (z.B. Wiegand 2000) – mikroarchitektonisch ausgebaut. Durch diese Vorgehensweise wurde eine Chance vergeben, die „Inhalte“ leichter zugänglich aufzubereiten. Der Vorteil dieses Vorgehens ist etwas Platzeinsparung, aber solche Knausrigkeit sollte Rolex doch wohl nicht nötig haben.

In der Lexikographie tut sich Rolex (oder die von ihnen beauftragte Agentur) also nicht besonders hervor. Stellt sich noch die Frage, wieso eine Firma, die lächerlich teure Armbanduhren verkauft, mit einem „Wörterbuchartikel“ wirbt. Vielleicht, weil Wörterbücher auch „höchste Präzision und Zuverlässigkeit“ ausstrahlen und Rolex sich in dieser Ausstrahlung mitsonnen will?

Vielleicht aber auch, weil Wörterbücher eben einfach cool sind.

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Literaturhinweis:

  • Wiegand 2000 = Herbert Ernst Wiegand: Über Suchbereiche, Suchzonen und ihre textuellen Strukturen in Printwörterbüchern. Ein Beitrag zur Theorie der Wörterbuchform. In: Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.): Wörterbücher in der Diskussion IV. Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium (Lexicographica. Series Maior 100). Tübingen 2000, 233–301.