Im zweiten Teil der Mini-Serie über Schrift, Buchstaben und die Assoziationen und Effekte, die diese hervorrufen sollen und können, ging es um Zeichen des kyrillischen Alphabets, mit denen Wörter in Sprachen mit lateinischem Alphabet verfremdet werden („Faux Cyrillic“).

Ganz ähnlich funktioniert das auch mit Buchstaben des griechischen Alphabets, man könnte das als „Faux GRΣΣK bezeichnen. Zu finden weltweit bei griechischen Restaurants, aber beispielsweise auch bei einer amerikanischen Fernsehserie — das lateinische „E“ bietet sich anscheinend geradezu an, durch griechisches „Σ“ (Sigma, Lautwert: /s/) ersetzt zu werden (¹). Dabei gibt es das „Ε“ (Epsilon) auch im Griechischen, mit gleicher Aussprache, aber weil da niemand mehr einen optischen Unterschied feststellen könnte, wäre das ja witzlos. Es sei denn, man verfremdet das Zeichen wiederum zu einer sehr dreieckig-zackigen Form des „ϵ“ (auch Epsilon), wie sonst auch andere hellenisierte Buchstaben sehr zackig dargestellt werden. Zackigkeit gilt anscheinend typographisch als etwas typisch Griechisches (siehe z.B. hier oder hier [rechtes Vorschaubild anklicken]), auch wenn das „S“ dann manchmal so aussieht, als wäre es in doppelter Ausführung in Deutschland verboten. Woher diese „Zackigkeit“ kommt, kann ich auf die Schnelle nicht beantworten — ergoogelbare klassische griechische Inschriften sind gerade beim „ϵ“ fast auffällig rund und unzackig (und beim „Ε“ ganz eindeutig viereckig, nicht dreieckig; aber vielleicht gibt es da in beiden Fällen auch noch „schlampigere“ Varianten).

Sonst gibt es aber im Griechischen nicht so wahnsinnig viele Buchstaben, die zwar ähnlich, aber nicht gleich aussehen wie die lateinischen. Und insbesondere sind die (nach meinem Eindruck) nicht ganz so prägnant wie die russischen Zeichen (das Ωmega einmal ausgenommen):

Lateinisch A D E O Y
Griechisch Δ, Λ Δ Σ, Ξ Ω, Θ, Φ Ψ

Bei den Kyrillisch- oder Griechisch-Imitaten ist der „Witz“ ja, dass existierende (und auch einigermaßen bekannte) Buchstaben/Alphabete in anderem Kontext verwendet werden und rein dadurch schon eine Assoziation hervorgerufen wird. Wer zu faul ist, selbst im Font herumzusuchen, kann sogar auf extra Schriftarten zurückgreifen (z.B. hier oder hier), die beim Gestalten oder „Verfremden“ helfen sollen. Dass es überhaupt so viele Ähnlichkeiten zwischen den Schriften gibt, liegt daran, dass sowohl unser (erweitertes) lateinisches Alphabet als auch das kyrillische Alphabet teils mehr, teils weniger direkt vom älteren griechischen Alphabet beeinflusst sind.

Inwieweit auch andere Alphabete/Schriftsysteme für solche Spielchen geeignet sind, muss an dieser Stelle mangels Kompetenz offen bleiben — dazu ergänzend noch einmal der Hinweis auf den Beitrag im Texttheater (¹) mit Hangul und Einsprengseln (wozu ich aber selbst so gar nichts sagen kann). Sehr interessant sind auch die Abbildungen im Beitrag „ENगLISH VINGLIश“ bei Bradshaw of the Future (²): englische Wörter (lateinisches Alphabet) mit Devanagari-, Telugu- und Tamil-Zeichen (also indischer Sprachraum), die überhaupt keine optische Ähnlichkeit mit den englischen Buchstaben zeigen, an deren Stelle sie stehen, die aber anscheinend ähnliche Lautwerte haben (mit Devanagari-Zeichen „ENगLISH VINGLIश“: zu , zu ; mit Telugu-Zeichen „ENగLISH VINGLIష్“: zu , zu ష్; mit Tamil-Zeichen „ENGLIஷ் VINGLIஷ்“: zu ஷ்). Damit funktioniert dieses zweite Beispiel sozusagen „andersherum“ wie die bisher besprochenen Fälle, denn beim „Faux Cyrillic“ und dem „Faux GRΣΣK“ wird die Aussprache ja gerade zugunsten der optischen Ähnlichkeit ignoriert.

Ganz andere Mittel werden bei Schriftarten eingesetzt, die z.B. „mexikanisch“ wirken sollen. Da werden keine fremden Schriftzeichen verwendet, um den entsprechenden Effekt zu erreichen, da werden die lateinischen Zeichen mit Zacken, Linien und Punkten versehen, und irgendwie soll uns dieses Schriftdesign dann gedanklich nach Mittelamerika schicken. Ich könnte mir vorstellen, dass jemand, der noch kein hiesiges mexikanisches Restaurant besucht hat, anhand dieser Zacken, Linien und Punkte vielleicht nicht gleich auf die richtige Gegend kommt.

Und damit wäre unser kleiner Ausflug in die Schrift und ihre Effekte für diesmal beendet.

Siehe auch (oben genannt):

(¹) Im Texttheater: Hangulimitate wurde ein vergleichbares Beispiel schon vor einer Weile genannt (Hangul und andere Zeichen).

(²) Bradshaw of the Future: ENगLISH VINGLIश (Lateinisches Alphabet und Devangari-/Telugu-/Tamil-Zeichen)