Am späten gestrigen Nachmittag bin ich auf einen Artikel auf sueddeutsche.de gestoßen, betitelt mit „CSU fordert Deutsch-Pflicht für zu Hause„. Klar, dass so etwas meine Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Im Artikel stand dann allerdings nichts mehr von einer Deutsch-Pflicht. Dem Anschein nach will man in der CSU auf dem kommenden Parteitag einen Antrag zur Abstimmung stellen, in dem der Satz steht:

„Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch zu sprechen.“ (Quelle: sueddeutsche.de)

Jemanden zu etwas anzuhalten bedeutet laut Duden, jemanden [durch wiederholte Hinweise] zu etwas anzuleiten bzw. zu erziehen. Nicht, ihn oder sie zu etwas zu verpflichten. Man kann gerne vom CSU-Vorschlag halten, was man will, aber über die „semantische Lücke“ zwischen dem Antrags-Wortlaut und dem SZ-Titel war ich schon enttäuscht. „Und weil die CSU den Knalleffekt so liebt […]“, steht im SZ-Artikel — wenn man „CSU“ durch „SZ“ ersetzt, wird in diesem Fall leider auch ein Schuh draus. Weil mich so etwas wurmt, habe ich eine Feedback-Nachricht an die SZ geschrieben und gehofft, dass dadurch die Welt ein Stück besser werden würde.

Heute geht der Spaß aber weiter. Auf Spiegel Online lese ich in einem Artikel vom Freitagabend: „CSU-Vorstoß: Migranten sollen zu Hause Deutsch sprechen„. In einem Artikel vom Samstagmittag heißt es ebenfalls auf spiegel.de: „Migranten müssen zu Hause Deutsch sprechen, findet die CSU„. Da war wohl das „sollen“, das dem Antragswortlaut immerhin etwas näher ist, zu wenig knallig und deswegen musste ein „müssen“ her, das zwar nicht recht stimmt, aber sicherlich für Klickzahlen und den gewünschten Empörungspegel sorgt.

Auf zeit.de titelt man: „CSU will Ausländern die Sprache diktieren„. Das stimmt zwar auch nicht, aber wen kümmern schon semantische Details. Und bei der Frankfurter Allgemeinen hängt man sich an die Münchner Kolleg\inn\en und schreibt „CSU will Deutsch-Pflicht für Migranten„.

Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber zumindest von der Süddeutschen, der ZEIT oder der FAZ hätte ich etwas mehr semantischen Anstand erwartet. Die CSU bietet doch genug Material, um sich auch ohne derartige Verfälschungen über sie aufzuregen.

NACHTRAG, 09.12.:

Zum Inhalt des CSU-Vorschlags, (auch) in der Familie Deutsch zu sprechen, haben Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler des Bereichs der Mehrsprachigkeitsforschung der LMU München eine fachkundige und kritische Stellungnahme (PDF) veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem:

Es herrscht in der Spracherwerbsforschung mittlerweile Konsens darüber, dass das sprachliche Angebot, insbesondere innerhalb der Familie, erheblich zur sprachlichen Entwicklung der Kinder beiträgt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Muttersprache Französisch, Russisch oder Türkisch ist. Beherrschen bspw. beide Eltern die Umgebungssprache nicht auf einem hohen Niveau, kann sich dies auf die sprachliche Entwicklung der Zweitsprache Deutsch negativ auswirken. Kinder erwerben dann unter Umständen falsche grammatische Formen, die später nur schwer korrigiert werden können.
Neben einer negativen Auswirkung auf den Erwerb des Deutschen würde Kindern zudem die Chance genommen, zweisprachig aufzuwachsen. [weiterlesen]