Die Anglizismus-des-Jahres-Kandidatenbesprechungssaison ist eröffnet. In den nächsten Tagen und Wochen werden die Kolleginnen und Kollegen vom Sprachlog und ich die Vielversprechendsten und Interessantesten der Vorschläge vorstellen und unter die Lupe nehmen.

Den Anfang mache ich heute mit dem Veggie Day. Bereits im August hatte ich einen Blick auf diesen Ausdruck geworfen; im Folgenden wollen wir uns ansehen, ob er das Zeug zum Anglizismus des Jahres 2013 hat. Ich fasse zu Beginn noch einmal die wesentlichen Punkte meines früheren Posts (mit ergänzenden Anmerkungen) zusammen:

Was können wir außerdem noch über den Ausdruck Veggie Day sagen?

Zur Form: Wie schon gesagt, lassen sich unterschiedliche Schreibvarianten für den Veggie Day finden. Für den ersten Teil neben Veggie auch Veggi, Vegie und Vegi, die allesamt abkürzend für vegetarisch stehen; statt Day auch das deutsche Tag. Die beiden Elemente werden entweder durch einen Bindestrich verbunden, oder sie werden zusammengeschrieben, oder es steht ein Leerzeichen dazwischen.

Am häufigsten werden laut Google-Suche (und ich bin mir deren Unzulänglichkeit bewusst), eingeschränkt auf .de-Seiten aber zeitlich ohne Einschränkung, durchgehend die Veggie-Formen verwendet, und zwar an erster Stelle Veggie Day/Veggie-Day (Google unterscheidet nicht zwischen Leerzeichen und Bindestrich); einige weitere Varianten nennt die folgende Abbildung.

Kreisdiagramm: Google-Werte für Veggie Day und Varianten

Die weiteren Varianten kommen quantitativ nicht an die genannten heran (am seltensten, im unteren bis mittleren dreistelligen Bereich, die Vegie-Formen).

Die Verhältnisse im DeReKo/COSMAS sehen etwas anders aus: In den hier vorliegenden Texten (die zeitlich bis Juli/August 2013 reichen, wobei für August nur wenig Textmaterial vorhanden ist) wird am häufigsten Veggie-Tag verwendet (53x im Jahr 2013/insgesamt 74x); erst dann Veggie Day (8x 2013/22x insg.) und Veggie-Day (3x/15x). Noch zu nennen ist Veggiday, das 2013 gar nicht, insgesamt aber 27x gefunden wird. Andere Varianten treten nicht oder nur in verschwindend geringer Häufigkeit auf. Wie man sieht, sind die Zahlen insgesamt deutlich niedriger als bei Google; es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung erst im August richtig loslegte.

Gesucht wurde jeweils nur nach der genannten Grundform, nicht nach flektierten Formen. Hier ist die Genitiv-Singular-Form zu nennen, die bei den Varianten mit Day auf -s endet, z.B. „eines Veggie Days“ (siehe auch hier für ein Beispiel den bereits oben verlinkten Beitrag von Stefan Niggemeier). Für den Nominativ Plural (der ebenfalls Veggie Days heißen müsste) finde ich nach einigen Versuchen keine Belege. Bei den Varianten mit Tag wird dieses Grundwort wenig überraschend dekliniert wie sonst auch (wobei die Variante -Tages im Gen.Sg. wohl etwas häufiger ist als -Tags, ohne das jetzt überbewerten zu wollen). Veggie Day wird außerdem auch häufiger gefunden als „fleischloser Tag“ oder „vegetarischer Tag“.

Außerdem ist noch zu bemerken, dass von 2009 bis heute „Veggie Day“, aber auch „Veggie-Tag“ u.a. häufig in Anführungszeichen gesetzt wird, wodurch zum einen eine gefühlte Fremdheit dieser Bezeichnung, zum anderen aber evtl. auch eine andere Qualität, etwa als etwas Eigennamen-Ähnliches, zum Ausdruck gebracht werden kann.

Die Aussprache von Veggie ist nach meinen Recherchen meist die englische /ˈvɛdʒi/, und zwar auch in der Kombination Veggie-Tag (z.B.); es kommt aber auch mal die Aussprache /ˈvɛgi/ vor (z.B. für Veggie-Tag; z.B. für Veggiday — die (noch inoffizielle) Hymne). Für die anderen Varianten, für die sich schon nur wenige schriftliche Beispiele finden lassen, gibt es natürlich noch weniger Aussprachebelege, aber Vegi- scheint mir (z.B. hier, /ˈve:gi/) in der Aussprache doch eher auf dem deutschen „vegetarisch“ als auf dem englischen „vegetarian“ zu basieren. Alles in allem lässt sich so gar nicht eindeutig sagen, bei welchem Ausdruck tatsächlich ein Anglizismus vorliegt, der hinsichtlich der Aussprache vielleicht einfach schnell integriert worden ist (Bildungen mit -Tag wären hybride Bildungen aus englischer und deutscher Konstituente), und bei welchem eine Bildung mit dem „deutschen Fremdwort“ vegetarisch.

Zur Bedeutung: Die scheint von den (relativ) frühen Belegen bis heute gleich geblieben zu sein; dies möge nur ein Zitat stellvertretend belegen:

Wenn es nach dem Vebu ginge, sollten sich Nürnbergs Arbeitnehmer zumindest einmal pro Woche fleischlos ernähren. „In anderen Städten gibt es den Veggie Day. Da wird jeden Donnerstag nur fleischloses Essen in der Kantine serviert, und das Projekt hat Erfolg“, erzählt Stefan. Unterstützung bekommt der Vegetarierbund durch die Tierschutzgruppen Anima und Arche Löhe, die heute im Café Klatsch über Sinn und Zweck des fleischlosen Tages informieren möchten. [Nürnberger Nachrichten, 21.07.2010, S. 1; Tofu statt Steak – Grillen ohne Fleisch: Gemüßespieße als Alternative; via COSMAS]

Lexikographische Bearbeitung: Im Duden (online) ist der Veggie Day noch nicht angekommen; auch nicht bei Pons. Auf Wikipedia gibt es seit September 2011 eine Seite zum Ausdruck Veggieday; im Wiktionary gibt es keinen Eintrag. Im VDS-Anglizismenindex ist der Veggieday mit der Verdeutschung „vegetarischer Tag“ angeführt. LEO hat zu Veggie Day keine Übersetzung, aber es gibt einen Foreneintrag vom September 2013; dem Anschein nach von einem New Yorker, der diesen Ausdruck nicht kannte. Das führt uns zur Herkunft des Ausdrucks.

Herkunft: Ich hatte oben bereits einen englischen Text, von 1999 datiert, genannt, in dem Veggie Day verwendet wird. Auch später lassen sich via Google leicht weitere Belege finden, die eine Lesart wie im Deutschen zulassen. Dennoch scheint der Ausdruck im Englischen nicht wirklich häufig verwendet zu werden. Bei einer Google-Suche, beschränkt auf .co.uk-Seiten, erhalte ich gerade einmal rd. 500 Seiten für „veggie day“, und selbst davon sind noch viele auf die jüngste Diskussion in Deutschland bezogen (eine Erwähnung hat sich hier der Guardian verdient mit der Schlagzeile „Wurst policy ever? German ‚Veggie Day‘ plan leaves Greens trailing„). Die englische Entsprechung der deutschen Wikipedia-Seite lautet meat-free day, hierzu finden sich auch mehr einschlägige Belege; seltener zu finden ist auch vege day (vegetarian day). Der Ausdruck veggie day scheint also im Englischen nicht die erste Wahl zu sein; er kann aber verwendet werden und ist nicht als „Pseudoanglizismus“ zu werten. Die einzelnen Bestandteile, also veggie und day, sind jeweils für sich durchaus gängig, aber der verlinkte Wörterbuchartikel zu veggie zeigt auch, dass dieser Ausdruck mehrdeutig ist und auch auf vegetable ‚Gemüse‘, nicht nur (und dann häufig im britischen Englisch; s.a. hier) auf ‚vegetarisch, Vegetarier‘ bezogen werden kann. Im Deutschen ist aber nur eine, und zwar die eher britische Lesart „gültig“: Ein Veggie Day ist kein Gemüsetag, sondern eben ein vegetarischer Tag, an dem es z.B. auch Obst geben kann; auch in anderen Kontexten, wie dem Veggie Street Day (2006 in Dortmund) oder im Kochforum, wird Veggie wohl nur so verwendet.

Interessant ist noch, dass der Veggie Day evtl. über Belgien bzw. über das Niederländische ins Deutsche gekommen ist, nämlich über das Vorbild der oben bereits erwähnten Parole „Donderdag Veggiedag“ (die entsprechende niederländische Wikipedia-Seite lautet jedoch vleesloze dag ‚fleischloser Tag‘). Das würde aber nichts am offensichtlichen Anglizismen-Status von Veggie Day ändern.

Fazit: Eignet sich der Ausdruck Veggie Day nun also zum Anglizismus des Jahres 2013? Dafür spricht, dass er durch die kontroverse Berichterstattung wirklich hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat; dafür spricht auch, dass es einen allgemeinen Trend zu bewussterer Ernährung gibt, in dessen Zug die Einführung eines fleischlosen Kantinentags mancherorts nicht nur diskutiert, sondern sogar bereits durchgeführt wurde. Nicht unwahrscheinlich, dass dieser Trend sich weiter fortsetzt. Dagegen spricht, dass der Ausdruck als politisches Schlagwort wohl keine große Zukunft mehr hat, da er seit dem Grünen-Debakel als relativ tot gelten muss; dagegen spricht auch, dass „eher“ deutsche Alternativen gerade deswegen evtl. bevorzugt gewählt werden, wenn es um die Sache an sich geht. Dabei muss man ja nicht so phantasielos an die Sache herangehen wie der VDS, aber die bestehenden Bezeichnungen wie Vegi-Tag /ˈve:gita:k/ o.Ä. stünden bereit — und deren Vorhandensein macht auch die semantische Lücke, die Veggie Day füllen müsste, immer kleiner. Wenn es um die Wahl zum Schlagwort des Jahres 2013 (isoliert) ginge, stünde der Veggie Day bei mir ganz weit oben; unter Berücksichtigung der Langzeitwirkung bin ich nicht ganz so optimistisch — aber vielleicht ist der Veggie Day ja trotzdem immer noch besser als die anderen Kandidaten? Wir werden sehen!

[Obst-und-Gemüse-Foto aus Wikimedia Commons, Autor Walter57, unter Lizenz CC0 1.0, Ausschnitt]

Hinweis: Die Abbildung (das Diagramm) wurde nachträglich um die Kategorie „Rest“ ergänzt, um, wie durch den Kreis symbolisiert, alle Werte anzugeben. Das alte Diagramm finden Sie hier.