Hach, mal wieder Syntax.
Folgendes twitterte ich heute mittag:
Interessante #Genus-Folge bei @zeitonline, müsste man sich mal genauer betrachten …
— Lexikographieblog (@lexikoblog) July 5, 2013
Sabine Lisicki wird mit dem femininen Pronomen „ihr“ wieder aufgegriffen, dann folgt das Maskulinum „den Besten“, auf das sich wiederum das Pronomen „es“ bezieht.
Inzwischen wurde der Text umformuliert und lautet nun so:
Aus „der Beste“ wurde „die Beste“, aber das war’s dann auch. Das „es“ steht noch. Aber da hatte die ZEIT auch keine andere Wahl — außer den Text komplett umzuformulieren. Mittlerweile habe ich mir das etwas genauer betrachtet:
Zunächst einmal: Dass zuerst „für den Besten“ dort stand, ist ein klassischer Fall des generischen Maskulinums. Der wirkte in diesem Fall besonders unangebracht, weil sich die Aussage ja offensichtlich auf Lisicki als eine einzige Person bezog, die weiblich ist. Miesepeter könnten auch argumentieren, dass diese Aussage eine allgemeine Wahrheit beschreibe, die sich nicht ausschließlich auf Lisicki, sondern auf alle Menschen beziehe, und das generische Maskulinum daher (wenn man es akzeptiert) korrekt sei … lassen wir das.
Das „es“ ist ein anderer Fall. Kurzfassung: Dieses Wort kann im Deutschen unterschiedliche Funktionen erfüllen, unter anderem in Gleichsetzungssätzen, wo es sich „als unpersönliches Subjekt (oder Prädikativ) auf nicht sächliche, nicht im Singular stehende Nomen beziehen [kann]“ (siehe dazu und zu allen Funktionen canoo.net). Die Beispiele lauten etwa: „Jemand kam hinein. Es war mein Vater.“, oder „Meine Mutter war es, die hereinkam.“ Im obigen Satz bezieht „es“ sich ebenfalls auf ein Nomen (Substantiv), nämlich „den Besten“ bzw. „die Beste“ aus dem vorangehenden Nebensatz „Nur wer sich für den Besten/die Beste hält“. Und da sind die Verhältnisse ziemlich verworren. Was jetzt kommt, die Langfassung, ist für Leute, die Grammatik wirklich mögen:
Mit „Nur wer sich für die Beste hält, wird es auch werden.“ liegt ein Satzgefüge aus einem Nebensatz („Nur wer sich für die Beste hält“) und einem übergeordneten Haupt- oder Matrixsatz („wird es auch werden“) vor. Dieser Nebensatz fungiert als Subjekt im Matrixsatz („Wer wird es auch werden?“ — „Wer sich für die Beste hält.“).
Innerhalb des Nebensatzes ist „wer“ das Subjekt, mit „hält (für)“ liegt ein den Kopulaverben vergleichbares Verb vor, das zwei Satzglieder Ausdrücke (nämlich hier die beiden Akkusativobjekte das Akkusativobjekt „sich“ und „die Beste“, NP im Akkusativ als Teil des Präpositionalobjekts) miteinander verbindet bzw. gleichsetzt. „Die Beste“ ist hier also Akkusativobjekt, in dieser Funktion auch als Gleichsetzungsakkusativ bezeichnet.
Innerhalb des Matrixsatzes haben wir einen Verbalkomplex „wird werden“, der zum einen aus dem Verb „werden“ als Hilfsverb (finit) und zum anderen aus einem zweiten Verb „werden“ (infinit), das ebenfalls ein Kopulaverb ist, besteht. Auch hier setzt dieses Kopulaverb „werden“ zwei Satzglieder gleich, nämlich den Nebensatz (als Subjektsatz) und „es“ als Prädikativ/Gleichsetzungsnominativ.
Einerseits wird dieses „es“ also durch das Verb syntaktisch mit dem Nebensatz gleichgesetzt. Ein Nebensatz hat kein grammatisches Geschlecht, daher kann man auf einen Nebensatz nicht sinnvollerweise mit einem maskulinen oder femininen, und eigentlich ja auch nicht mit einem sächlichen Pronomen verweisen. Trotzdem ist die Form „es“ die Form, die für solch einen Zweck gewählt wird — weil man keine bessere hat, vermutlich.
Andererseits bezieht sich dieses „es“ aber inhaltlich auf einen Teilausdruck innerhalb des Nebensatzes, nämlich auf „die Beste“. „Die Beste“ ist eindeutig feminin (so wie „der Beste“ maskulin wäre). Trotzdem klingen die Sätze „??Nur wer sich für die Beste hält, wird sie auch werden“ oder „??Nur wer sich für den Besten hält, wird er auch werden“ in meinen Ohren sehr seltsam — vielleicht nicht direkt falsch, aber vielleicht auch schon.
Das ist besonders dann interessant, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass anstelle dieses „es“ durchaus andere Satzglieder stehen könnten, die eindeutig feminin oder maskulin sind: „Nur wer sich für die Beste hält, wird auch die Beste werden“ oder „Nur wer sich für den Besten hält, wird auch der Beste werden“ sind grammatisch einwandfrei — die Ersetzung durch die entsprechenden Pronomen aber nicht. Was auch nicht ginge, wäre „*Die/der Beste wird es auch werden.“
Obwohl also ein genusspezifizierter, femininer bzw. maskuliner Referenzausdruck vorliegt, wird in solchen Konstruktionen die Form „es“ bevorzugt. Klingt komisch, ist aber so. Die Alternative klänge noch komischer.
Da passt es doch irgendwie, dass laut irgendsoeiner aktuellen Boulevardmeldung das Deutsche zu den „weirdest languages“ dieser Welt gezählt wurde.
„Nur wer sich für DIE beste hält“ ist sinnverändernd. Aus Frau Lisickis ursprünglichem Ziel, zur Nummer 1 aller Menschen aufzusteigen, der männlichen wie der weiblichen, wird ein weit geringeres, nämlich die Nummer 1 nur noch unter den Frauen. So war das mit der geschlechtergerechten Umformulierung ja wohl nicht gedacht.
Zum generischen Maskulinum: Ich habe das Finale auf BBC gesehen, und da gab es sog. O-Töne in Deutsch von Frau Lisicki, in denen sie jeweils völlig problemlos die Maskulinformen selbst verwendet hat. (Leider habe ich keine Aufzeichnung parat, sodass ich Zitate schuldig bleiben muss.)
Zum „es“: Erstmal vielen Dank für die Syntaxanalyse, tatsächlich macht sowas doch Spaß, Ihnen sicher beim Schreiben, und zumindest mir beim Lesen. Ein Problem hätte ich allerdings mit einer Analyse bzw. Synthese am Ende Ihres Textes. „Nur wer sich für den Besten hält, wird er auch werden”: Wenn Sie „den Besten“ als Akkusativobjekt analysieren, dann müsste doch auch im Teilsatz „wird X auch werden“ die X-Stelle doch auch mit einem Akkusativ gefüllt werden. Müsste der Alternativsatz nicht lauten: „Nur wer sich für den Besten hält, wird ihn auch werden” (analog zu solchen Konstruktionen wie „nur wer sich den Besten kauft, wird ihn auch besitzen“, wobei naatürlich ganz klar das Problem des Kopularverbs zutage tritt)?
Eben, Sie sprechen das Kopulaverb an. Bei „besitzen“ liegt das Muster „X[Nom] besitzt Y[Akk]“ vor, daher ist das „ihn“ als Akkusativobjekt in Ihrem Beispielsatz korrekt. Das Satzglied (hier: das Pronomen) muss den Kasus aufweisen, der ihm vom Verb zugewiesen wird. Wenn das Verb einen Dativ fordert (z.B. bei „helfen“: „X[Nom] hilft Y[Dat]“, muss das Pronomen auch im Dativ stehen, selbst wenn das Bezugswort im Akkusativ steht: „Nur wer [den Freund] versteht, wird [ihm] auch helfen“. Dass „den Freund“ im Akkusativ steht, liegt wiederum am Verb „verstehen“: „X[Nom] versteht Y[Akk]“. Bei Kopulaverben werden aber Substantive/Nominalphrasen mit gleichem Kasus, und zwar im Nominativ, verbunden: „X[Nom] wird Y[Nom]“. Daher müsste das Pronomen theoretisch „er“ heißen, wie im Satz „Der Beste wird er werden“ oder „Präsident wird er werden“. Das ist kein Problem, solange das Bezugswort so ein schöner, offensichtlich im Nominativ Sg stehender Ausdruck wie in diesen kleinen Beispielen ist, der gleichzeitig auch das durch das Kopulaverb verbundene Satzglied ist. Aber da im analysierten Satz eben der Nebensatz das „Satzglied“ ist und auch nicht im Nominativ steht (manche sagen, er steht „in der Funktion eines Nominativsatzglieds“, weil das vom Verb „werden“ eben so angelegt ist), und schon gar nicht im Maskulinum, wird das alles immer verworrener … und ja, das macht schon auch Spaß.
Vielen Dank für die Verwirrung. :)
Ja, so ähnlich hatte ich es auch gemeint. An solchen Stellen wird klar, dass Kopularverben mit ihren strikten Konstruktionsmöglichkeiten einfach nicht richtig ins (Alltags-)Sprachsystem passen. Theoretisch sind sie wunderbar und simpel. Aber in der Praxis… Sie haben im Originaltext zwei Fragezeichen und konnten sich nicht zum Sternchen durchringen(?); was meinen Sie, wie sähe eine Umfrage unter kompetenten, nichtprofessionellen muttersprachlichen Sprechern aus mit dem tatsächlich syntaktisch korrekten „wird er werden“ und dem syntaktisch inkorrekten „wird ihn werden“? Ich tippe mal drauf, dass die meisten Sprecher darauf verzichten, „werden“ als Kopularverb zu interpretieren, und den Akkusativ verwenden, also ein völlig neues Verb „jemand etwas[Akk] werden“ basteln — und schon wären wir von der Syntax in der Lexik (und könnten den Begriff „Notlexik“ erfinden). Aus der Unterrichtserfahrung in der Schule kenne ich jedenfalls solche nicht-kopularen „werden“ Formulierungen mit Akkusativen.
Gern geschehen :-)
Ich glaube jedoch nicht, dass der Satz „Nur wer sich für den Besten hält, wird ihn auch werden“ so viel Zustimmung erhalten würde. Mir fehlt allerdings Ihre Schulerfahrung. Bei „die Beste/sie“ würde ich mehr Zustimmung erwarten, aber da liegt auch Gleichheit zwischen der Nominativ- und der Akkusativ-Form vor. Letztendlich ist aber, wie man sehen kann wohl nicht unbegründet, die Form „es“ diejenige welche, weil eben der Nebensatz ausschlaggebend ist bzw. weil „es“ diese Funktion einfach hat (auch in anderen Fällen ohne Nebensatz).
Ich habe mir erlaubt, in meinem Facebook-„Freundes“kreis eine kleine Umfrage zur Akzeptanz der beiden Sätze zu machen, in der Hoffnung, meine Annahme untermauern zu können. Obschon dies natürlich überhaupt keine akademisch auch nur annähernd belastbare Studie ist, möchte ich die Zahlen gerne teilen, vielleicht bekommt ja ein akademischer Lehrer damit Lust auf mehr? …
Aufgabenstellung:
„Weiter unten steht ein Satz in zwei Versionen. Bitte postet doch im Kommentar den Buchstaben des Satzes, den ihr beim ersten Lesen für richtig oder zumindest ok haltet. Es geht ausdrücklich *nicht* darum, dass ihr euch Zeit nehmt, den Satz grammatisch zu analysieren um herauszufinden, welche Variante „stimmt“. Bitte postet eure erste Reaktion. Wenn beide Fassungen „falsch“ bzw. „ok“ sind, wäre ich für einen Kommentar „beide falsch“ oder „beide ok“ dankbar. […]
(a) Nur wer sich für den Besten hält, wird er auch werden.
(b) Nur wer sich für den Besten hält, wird ihn auch werden.“
Ergebnis:
36 Antworten
Keiner beide Sätze für richtig oder wirklich akzeptabel gehalten,
Keiner hat (b) für richtig oder wirklich akzeptabel gehalten,
Einer hat (a) für richtig oder wirklich akzeptabel gehalten,
Dreimal kam eine Tendenz zu (b) vor,
Zweimal kam eine Tendenz zu (a) vor.
Tendenziell war also (b) um den Faktor 1,5 „besser“, wobei (b) keine Richtigmeldung, (a) hingegen eine Richtigmeldung bekommen hat.
Die 22. Meldung schlug übrigens die „es“ Variante vor.
Die Begründungen für (b): „wenn ich mich entscheiden müsste dann der 2.“, „b hört sich kasustechnisch besser an“, „aber b) hört sich besser an als a)“.
Die Richtigmeldung für (a) wird nicht begründet, die Tendenz zu (a) wird begründet: „aber -a – klingt korrekter“, „wobei ich a) wohl noch eher akzeptieren könnte“.
Jetzt kann ich das Ende meiner Ferien gar nicht mehr abwarten, ich werde im nächsten Schuljahr besonderes Augenmerk auf die Kombination „Schülerin/Schüler & Kopularverbkonstruktion“ halten. :)
Was diskutiert ihr da über Akkusativobjekte herum?
„die Beste / den Besten“ ist hier kein Akkusativobjekt, sondern Teil eines Präpositionalobjektes. Der Kasus wird dabei nicht durch den Objektstatus bestimmt, sondern durch die Präposition.
Vgl.: „Wer sich nicht auf DEM Laufenden hält, wird niemals DER Klügste werden“.
Weiterhin:
Was Sie als miesepetrige Interpretation bezeichnen, bedeutet nichts anderes, als dass „die Beste“ hier generisches Femininum ist. Denn man kann davon ausgehen, dass Lisitzki (hihi) ihren Sinnspruch nicht nur auf das Frauentennis, und auch nicht auf Tennis allgemein, sondern auf jedwede Sportart bezogen verstanden wissen wollte (weird German verb complex).
Falls tatsächlich irgendwelche Redakteure aus gesinnungspolizeilichen Gründen den Wortlaut verändert haben sollten, wäre das ein Skandal.
Weiterhin:
„Es“ hat hier nach canoo.net nichts mit einem Gleichsetzungssatz zu tun, sondern nur mit dem Prädikativ. Vgl.: „Sie hält sich für die Beste und (sie) wird es auch“.
Und nochwas für Leute, die Grammatik wirklich mögen: „sich betrachten“ ist hier nicht standardsprachlich, sondern „betrachten“ oder „sich ansehen/anschauen“.
Akkusativobjekt/Präpositionalobjekt: Mea culpa; für alle, die Grammatik mögen, muss es bei „die Beste/den Besten“ korrekterweise heißen: eine Nominalphrase im Akkusativ, die Teil eines Präpositionalobjekts ist. Anfängerfehler. Ich halte es aber nicht für Zufall, dass es sich dennoch um zwei NPs im Akkusativ handelt (die einzige Präposition, die mich in dem Konzept noch stört, ist zu in X[Nom] wird zu Y[Dat]).
Die Betrachtung als unpersönliches Prädikativ im Kontext der Gleichsetzung halte ich nicht für ausgeschlossen; die als nur der Form nach sächliches Prädikativ auch nicht.
Leute, die Grammatik wirklich mögen, interessieren sich übrigens häufig gar nicht so sehr für die Standardsprache. Zu „betrachten“ in reflexiver Verwendung verweise ich auf den entsprechenden Duden-Artikel, viertes Beispiel.
Sehr schön:-) Sie haben es eingesehen. Hat aber Spaß gemacht, der Diskussion zu folgen.
Wer der Beste sein will, wer das wirklich will, der wird es werden.
Hier auf dem Blog versuchen Sie es jetzt wahrscheinlich auch. LOL
Es grüßt der Simple